Die Zeit des Abschieds ist gekommen. Die Aufgaben hier auf der Erde sind erfüllt.

„Es wird jetzt Zeit für mich.“
Der Satz schnitt tief in die Hitze der Nachmittagssonne. Es war ein ganz normaler Tag. Ein schöner Tag, wie man so sagt, einer, an dem wenige Wolken zu sehen waren und die Sonne sichtbar strahlte. Alles war ganz normal und gewöhnlich. Die Kühe waren auf der Weide. Rundum. Die Schafe und ein paar Ziegen. Sie verstanden sich recht gut, teilten sich wie jeden Tag die Gräser und  die Kräuter auf ihren Wiesen.
„Ja, ich glaube, meine Zeit ist gekommen.“
Seine Schritte waren immer kleiner und langsamer geworden, als sie in den Wald hineingekommen waren. Frieda C. Sangbrecht begleitete Michael Blankenheim. Sie waren am Weg zu ihrer Waldlichtung. Er hatte darauf bestanden, keinen Arzt mehr zu rufen. Er wollte gehen. Er wünschte sich Zusammensein mit seiner Frau und mit dem Himmel. Er wollte keinen medizinischen Aufruhr, keine grellen, technischen Maßnahmen. Er wollte im Leben bleiben. In seinem, in ihrem Leben.
Bis hierher hatte er es wirklich noch alleine geschafft. Den letzten Abschnitt musste sie ihn stützen. Er legte seinen Arm um ihre Schulter.
„Tut mir leid. Ich …“
„Wir sind gleich da.“
Michael Blankenheim kniete sich auf die Waldwiese.
„Wir sind da.“
Zwei Vögel, oben im Geäst, besprachen zwitschernd die Lage. Sie waren nicht nervös. Da kamen noch ein paar hinzu. Sie unterbrachen ihr Mittagsschläfchen.
„Mein Körper fühlt sich so leicht an. So schwach. So bebend. So ungewohnt kribblig. Ich bin so müde. Meine Knie, ich muss …“ Er legte sich hin.

Lass‘ uns in uns bleiben.
Lass‘ uns vertrauen.
Wir haben lieben gelernt, meine Frau.“
Die Vögel hielten kurz an. Als wollten sie lauschen.
„Meine Beine sind so schwerelos. Ich spüre sie fast gar nicht. Nur das Herz kämpft. Ich …“
Er schloss die Augen. Er öffnete siegleich wieder.
„Ich glaube, ich muss jetzt gehen. Ich bin so müde. Alles ist so weich … ich kann … ich kann mich nicht mehr auf ein Bild einstellen. Nicht mehr auf einen Gedanken festlegen …. Bist du noch da?“
„Ja, mein Lieber. Ich bin immer da.“ Sie lächelte. Sie wollte, dass er es spürte.
„Rede noch weiter, bitte.“
„Mir … mir fallen so viele Szenen ein, die wir erlebt haben hier. Sie sind so klar und dann … dann kommen neue. Ich war solange hier. Es war ganz kurz. Ich … Gedanken fliegen …“
„Geht das so?“ Frieda wickelte Haarsträhnen über ihre Finger.
„Die Haare … ich möchte …“
Frieda C. Sangbrecht hatte die Besonderheit entwickelt in den letzten Jahren, ihrer beiden Haare zu verflechten.

„Es gibt keine Trennung.“
„Ja, mein Lieber, aber wir sind so klein. Wir wissen und trotzdem wissen wir nichts. Wie wird es jetzt weitergehen?“ Es fiel Michael schwer, liegen zu bleiben.
„Wie wird das sein? Kennen wir uns dann wieder? Treffen wir uns? Wie lange wird das dauern? Fangen wir dort drüben wieder von vorne an, wie hier, als kleine Babies? “
Michael Blankenheim schloss seine Augen. Eine Träne floss über seine Schläfe. Er spürte sie noch beim Ohr.
„Wir legen den Körper ab, wie schaut der neue aus? Wie meiner, wie deiner? Kommst du gleich mit oder kommst du erst viel später nach?“ Er drehte seinen Kopf zu ihr hin.
„Ich bin sehr aufgeregt jetzt, Frieda. Verzeih‘. Stell dir vor, mein Herz schlägt noch einmal ganz laut. Sag mir, kommst du dann bald nach?“
Frieda schloss ihre Augen kurz, um sie gleich wieder weit aufzumachen.
„Ich weiß es nicht, Michael. Ich weiß es nicht. Ich bin ganz durcheinander. Lass uns beten. Ich spüre dein Herz so stark. Es geht noch nicht. Ich habe solch große Angst vor Deinem Gehen jetzt, ich …“
Sie hielt den Atem an.

Leise sagte sie:
„Es hat Momente gegeben, da war ich sicher, ich kann das: Abschied nehmen, ohne Schmerz. Im Wissen, das Liebe nie vergeht.“
Sie schaute ihn an.
„Wir wissen vom ewigen Leben, wir kennen die Wahrheit vom Sphärenwechsel und jetzt? Jetzt fühle ich mich so schwach. Jetzt weiß ich, wie klein ich bin. Ich dachte, das mache ich beschwingt und gewandt und anmutig.“
„Ja, das dachten wir, Frieda und das machen wir auch.“

Die Sonne strahlte.
Ihre Tränen glänzten.
Ihre Augen begannen zu leuchten.
Es war warm. Ganz warm.
Die Umrisse verschwammen.
Die Lichter.
Die Strahlen.
Die Liebe. Sie tut so gut.
Danke.
Auf Wiedersehn.

Günther Floner

Kulturarbeiter Wahrheitssucher